Jedes Jahr am 9. November gedenken wir der Opfer der Novemberpogrome von 1938. Wir gedenken jener Menschen jüdischen Glaubens, die vom NS-Staat ideologisch zu Regime-Feinden erklärt wurden und somit nicht in die auf Antisemitismus, Rassismus und Gleichschaltung ausgerichtete „Volksgemeinschaft“ passen durften. Die Novemberpogrome 1938 stehen am Anfang des Holocausts und markieren einen Höhepunkt der öffentlichen Diffamierung und brutalen Demütigung von Juden im Dritten Reich.
Vor dem Hintergrund der diesjährigen Gedenkfeierlichkeiten besuchte der renommierte Holocaustforscher Prof. Dr. Gideon Greif am 10. November unsere Schule. Im Zentrum seines bewegenden Vortrags vor den 10er Klassen der Realschule und des Gymnasiums sowie den Oberstufenklassen stand die Vernichtungsmaschinerie im ehemaligen Todeslager Auschwitz-Birkenau. Einfühlsam und pointiert lenkte er den Fokus auf die einzelnen Etappen der nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage“. Ein Schwerpunkt in seinen Ausführungen über das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau bildete die Rolle des sogenannten „Sonderkommandos“, eines Spezialkommandos bestehend aus jüdischen Häftlingen. Diese waren nicht nur gezwungen, an der maschinellen Tötung von Tausenden von Gefangenen in den Gaskammern und Krematorien aktiv teilzunehmen, sondern auch die Spuren der Vernichtung systematisch zu beseitigen.
Abschließend stellte Gideon Greif Bilder aus dem sogenannten „Auschwitz-Album“ vor. Diese einzigartige Geschichtsquelle wurde nach dem Krieg in Auschwitz gefunden: 1944 zum Zweck der Dokumentation von SS-Fotografen produziert, zeigt es Detailaufnahmen von Gefangenen im KZ Auschwitz-Birkenau. Viele Menschen, die in diesem Album abgebildet sind, konnten identifiziert werden. Sie erhielten somit im Unterschied zu den Millionen von Opfern, die in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet wurden, ihren Namen und ihr Antlitz zurück. Das Album gilt deshalb auch als ein außerordentlich wichtiges menschliches Dokument. Es ist uns ein Mahnmal zum Gedenken an den unschuldigen, millionenfachen Tod von Juden und das unermessliche Leid, das im Namen der nationalsozialistischen Staatsideologie herbeigeführt wurde.
Die besondere Vortragstechnik von Gideon Greif und die Möglichkeit, in einer offenen Gesprächsrunde unsere Fragen zu der kaum zu begreifenden KZ-Vernichtungsmaschinerie zu diskutieren, machen seinen Besuch in der BiL-Schule zu einem außergewöhnlich intensiven Erlebnis. Wir sind sehr dankbar für diese Erfahrung: Informationen und Antworten aus der Hand des anerkannten Geschichtsprofessors bereichern nicht nur unsere Unterrichtskenntnisse, sondern sprechen in ihrer Eindringlichkeit auch das Gewissen an, dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte nie zu vergessen.

E. Krich
Geschichtslehrer